Noch Fragen? – Warum ich Interviews liebe
Das Interview gilt als schwierige journalistische Textform. Das kann ich persönlich nicht nachvollziehen, denn ich liebe es, Interviews zu führen. Mit Menschen ins Gespräch zu kommen, etwas über sie, ihr Leben, ihre Meinungen zu erfahren, das erfüllt mich. Und als kleine Dreingabe lerne ich bei jedem Gespräch etwas dazu.
By HANSI
Fest steht: Es passiert jede Menge Zwischenmenschliches. Ganz besonders berühren mich die Momente, in denen die GesprächspartnerInnen ihre öffentliche Maske fallen lassen und sehr persönliche Dinge erzählen. Die sind meist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und doch bringen sie für das Gespräch unglaublich viel. Denn man begegnet sich auf einer ganz anderen Ebene und auf beiden Seiten herrscht großes Vertrauen. Das sind Gespräche auf Augenhöhe, die ich von ganzem Herzen liebe und die mir immer wieder bewusst machen, was für ein Privileg mein Beruf ist. Wenn es richtig gut läuft, dann entsteht in solchen Gesprächen eine Wohlfühlatmosphäre, die die GesprächspartnerInnen noch offener macht.
Interviews – individuell und persönlich
Bis zur Pandemie wurden Interviews meist persönlich, von Angesicht zu Angesicht, geführt. Das hat sich seit Corona und den damit einhergehenden digitalen Entwicklungen geändert. Gespräche finden häufig per Bildschirm statt. Das ist bequem, spart Zeit und Fahrtkosten. Auf der anderen Seite fehlt ein wenig das Echte, das Lebendige. Doch ein Interview per Zoom ist immer noch ein persönliches Gespräch, es entwickelt sich ein Dialog – auch wenn der Bildschirm für eine gewisse Distanz sorgt.
Im letzten Jahr hatte ich die Gelegenheit, die Schauspielerinnen Stefanie Reinsperger und Maria Schrader sowie die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch zu interviewen. Frau Reinsperger und Frau Pusch stellte ich meine Fragen über Zoom. Maria Schrader beantwortete meine Fragen schriftlich.
Stefanie Reinsperger ist eine großartige Schauspielerin, die ich sehr mag. Das gestand ich ihr zu Beginn des Gesprächs, in dem ich sie zur Aufführung des „Theatermachers” im Theater Gütersloh befragte. So eine persönliche Bemerkung bricht nach meiner Erfahrung häufig das Eis. So war es auch bei Frau Reinsperger, die sich sichtlich über mein Kompliment freute. Meine Fragen, die ich ihr zur Vorbereitung geschickt hatte, gerieten erst einmal in den Hintergrund und es entspann sich ein persönliches Gespräch um den Dortmunder Tatort, das Thema Wut und ihren Dutt, den sie auf Instagram immer gerne thematisiert. Sie war unglaublich offen, zugewandt und freundlich, was bei einer so gefragten Schauspielerin wie ihr nicht selbstverständlich ist. So ein Gespräch macht große Freude und wenn Sätze fallen wie „Ich schenke mich einfach gerne her…” – dann ist das für mich selbst ein großes Geschenk.
Wie man eine Linguistin befragt
Großen Respekt hatte ich vor dem Interview mit Luise Pusch. Sie gilt als Begründerin der feministischen Linguistik in Deutschland und das machte mich doch etwas nervös. Doch sie erleichterte mir den Gesprächseinstieg mit der Technik, die ich sonst gerne nutze: Sie wurde persönlich und erzählte, dass sie als Kind (sie wuchs in Gütersloh auf) quasi in meiner Nachbarschaft aufgewachsen sei. Das wiederum passte hervorragend zur Thematik des Interviews, in dem es hauptsächlich um ihr neues Buch „Gegen das Schweigen” ging, in dem sie ihre Kindheit und Jugend in Gütersloh schildert. Das Interview erschien im Stadtmagazin gt-!nfo.
Dialog in Schriftform
Maria Schrader bat für ein Interview zum musikalischen Abend „Landschaften” im Theater Gütersloh um ein Interview in Schriftform. Das erspart auf der einen Seite viel Arbeit, denn man bekommt druckreife Antworten, die an die Redaktion durchgereicht werden können. Auf der anderen Seite müssen die Fragen vorausschauend gestellt werden, um einen Gesprächsfluss entstehen zu lassen. Meist bin ich mit den Fragen, die ich für schriftliche Interviews verschicke, nicht ganz zufrieden, weil ich befürchte, dass noch etwas fehlen könne. Im Falle von Maria Schrader haben mich ihre wundervollen Antworten mit dieser Form des Interviews versöhnt.
Vertrauen ist oberstes Gebot
Sehr gerne erinnere ich mich an ein Interview, dass ich (vor Corona) in Präsenz mit der Autorin Christine von Brühl geführt habe. Sie erzählte im Laufe des Interviews sehr viel Persönliches aus ihrer Familie, das mich sehr berührte. Es war klar, dass ich diese persönlichen Dinge nicht in meinen endgültigen Text Christine von Bruehl: Fontane war ein Frauenversteher übernommen habe. Auch das gehört meines Erachtens zu den Eigenschaften einer guten Interviewerin: Sie muss nicht nur zuhören und empathisch nachfragen, sondern auch genau wissen, was sie an die Öffentlichkeit weitergeben kann. So entgeht den LeserInnen und ZuhörerInnen vielleicht ein wenig Insiderwissen, aber das Vertrauen zwischen den Gesprächspartnerinnen geht in diesem Falle vor. Und wer weiß: In einem nächsten Gespräch wird vielleicht noch mehr Offenheit zugelassen. Mein Lohn für das o.a. Gespräche: Christine von Brühl schrieb mir im Nachhinein, dass sie noch nie ein so schönes Interview geführt habe.
Das Interview als persönliche Bereicherung
Und dann gibt es noch das Interview per Telefon. Den Kolumnisten, Kurator und Modekenner Peter Kempe habe ich zum Thema „Stil” in einem Telefonat interviewt. Er ist ein sehr sympathischer, zugänglicher und interessierter Gesprächspartner, mit dem das Gespräch von Anfang an leichtfiel. Bei den Themen Stil und Mode verband uns quasi die gleiche (Fernseh-) Vergangenheit. So plauderten wir über begeistert über die Sendung „Neues vom Kleidermarkt” mit der großartigen Antonia Hilke und die „VIP-Schaukel” der Journalistin Margret Dünser. Daraus ergaben sich fast automatisch Fragen rund um das Thema Stil. Und für mich Modenerd war diese Plauderei aus dem Nähkästchen mit einem Fashion-Fachmann, der viele Designerinnen und Designer persönlich kennt, eine große persönliche Bereicherung. Das Interview ist hier nachzulesen.
Fest steht: Es passiert jede Menge Zwischenmenschliches.
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